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Der Tod kommt in Schwarz-Lila
(Arbeitstitel)
Exposé:

Als in den Dünen der Insel Wangerooge die Leiche eines unbescholtenen Rentners gefunden wird, fürchtet Hauptkommissar Martin Trevisan von der Wilhelmshavener Mordkommission am Anfang komplizierter und langwieriger Ermittlungen zu stehen.

Als Tage später an Bord eines führerlosen Fischkutters im Mellumer Fahrwasser drei Leichen entdeckt werden, wird diese Befürchtung zur Gewissheit. Zu deutlich sind die Parallelen zu dem Mord auf Wangerooge.

Doch wo liegen die Gemeinsamkeiten, welches Motiv steckt hinter den grausamen Taten? Und wird der Mörder noch einmal zuschlagen? Die Ermittlungen führen Trevisan an den Abgrund der menschlichen Psyche.
… und das blaue Gesicht lächelte …
Leseprobe:


… westlich von Wangerooge…

Sanft rollten die Wellen der Nordsee gegen den Rumpf des alten Kutters. Die Positionslichter schimmerten einsam über das gekräuselte Wasser. Kein Schiff kreuzte ihren Kurs. Die Nordsee zeigte ihre angenehme Seite. Ein leichter Westwind umschmeichelte die schweißnassen Gesichter der Fischer und blies ihnen salzige Luft in die Nasen. Fein säuberlich aufgereiht hingen die Netze über der Reling und warteten geduldig auf Beute.
Harte Arbeit lag vor Kapitän Hansen und seinen Männern. Am späten Nachmittag waren sie aufgebrochen und hatten den sicheren Hafen verlassen. Der Wetterbericht verhieß zwei gute Tage, und diese Zeit galt es zu nutzen.
Hier draußen am Borkumgrund westlich von Wangerooge hatten sie vor knapp zwei Wochen schon einmal gefischt. Prall gefüllt waren die Netze, nachdem die Winsch sie an Deck gehievt hatte. Noch einmal so einen Fang und sein Schuldenberg wäre um ein Beträchtliches kleiner.
Hansen stand hinter dem Ruder und blickte hinaus auf die weite See. In der mondlosen Nacht konnte er nur erahnen, wo sich der Himmel und die See berührten. Achtern warnte ein Leuchtfeuer vor gefährlichen Untiefen. Er wusste genau, wo er sich befand. Seit über dreißig Jahren kreuzte er in diesen Gewässern. Er kannte die Tücken der Nordsee. Gerade bei Neumond galt es besonders wachsam zu sein. Innerhalb kürzester Zeit konnten sich die sanft spielenden Wellen in tobende und alles verschlingende Gischt verwandeln. Erst wenn das Wasser vom Nordmeer in das schmale Nordseebecken eingelaufen war, konnte er sicher sein, dass es bei einer ruhigen See blieb.
So nahe am Wangerooger Fahrwasser war es immer ratsam, einen Blick auf das Radar zu werfen. Doch der Schirm flimmerte in beruhigendem Grün. Kein Schiffsverkehr störte ihre Kreise.
Hansen lauschte in die Nacht. Nur das monotone und gutmütige Tuckern des alten Diesels war zu vernehmen. Fast zwanzigtausend Mark hatte die Reparatur des Motors gekostet. Für ihn ein kleines Vermögen.
Er warf einen Blick durch das schmutzige Fensterglas des Ruderhauses und sah Willemsen, der auf dem Vordeck stand und sich eine Zigarette anzündete. Nur noch wenige Minuten bis zum Wendepunkt, dann würde er auf volle Kraft gehen, damit Willemsen und Jan Ekke, der zweite Helfer an Bord, das Fanggeschirr wegfieren konnten. Diese Arbeit bedurfte äußerster Konzentration. Doch Hansen machte sich keine Sorgen. Sie waren ein eingespieltes Team. Jan Ekke Mijboer war zwar erst ein halbes Jahr auf Hansens Boot, doch zuvor hatte er schon auf anderen Trawlern gearbeitet, bis er für fast ein Jahr ins Gefängnis musste. Er hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht. Warum auch? Er war ein junger Mann und hatte für seine Dummheit gebüßt. Er hatte bezahlt. Jeden einzelnen Tag, jede einsame Nacht in einer engen und muffigen Zelle. Weitab von der salzigen Luft, weitab von der Freiheit der See, weitab von seinem Kurs.
Hansen blickte abermals auf den Radarschirm. Was war das? Eine Ortung? Der Schirm war leer. „Vermutlich nur Einbildung, dachte er und konzentrierte sich wieder auf das Ruder. Er schaute hinaus, doch jetzt war Willemsen plötzlich verschwunden.
"Verdammt, was treiben die beiden da draußen?", murmelte er entgeistert. Sein Blick irrte durch die verschmierten Scheiben des Ruderhauses hinaus auf das Vorschiff, doch von Willemsen und Jan Ekke fehlte jede Spur. Er drosselte die Maschine und arretierte das Ruder. Mit einem Fluch auf den Lippen ging er nach draußen in die milde Nacht. Der trübe Schein der Bootslichter erhellte nur leidlich das Deck. Hansen umrundete das Ruderhaus und wandte sich nach Steuerbord. Im Vorbeigehen überprüfte er den festen Sitz der Kurrleinen an der Winsch. Was hatten sich die beiden Kerle nur gedacht, kurz vor dem Wendemanöver einfach die Netze zu verlassen? Als er auf das Heck des Schiffes zuging, hörte er ein schepperndes Geräusch. Erschrocken fuhr er zusammen und spähte hinaus in die Finsternis. Nichts war zu erkennen.
Seit 48 Jahren fuhr er zur See und war beileibe kein ängstlicher Mensch, dennoch lief ein kalter Schauer über seinen Rücken.
"Sven, Jan Ekke, verdammt, wo seid ihr?", rief er unsicher in die undurchdringliche Schwärze. Keine Antwort. Nur das Plätschern der Wellen füllte die Stille. Das Leuchtfeuer von Wangerooge schickte einen gleißend hellen Strahl nach dem anderen über das Wasser und doch wäre Hansen beinahe gestolpert. Auf der Laufplanke lag etwas, dass dort nicht hin gehörte. Weich und leblos fühlte es sich an, als Hansen mit dem Fuß danach tastete.
"Was zum Teufel ...?"
Er bückte sich. Vor ihm lag ein menschlicher Körper. Hansen gefror das Blut in den Adern. Im vorbei fliegenden Licht erkannte er das verzerrte Gesicht von Willemsen. Eine dunkel glänzende Spur lief von dessen Kopf zur Reling hinüber und Hansen wusste sofort, dass hier das Leben aus Willemsens Schädel rann. Er beugte sich über den regungslosen Körper. Plötzlich hörte er erneut das ungewöhnliche Geräusch. Hansen fuhr herum. Ein brutaler Schlag gegen seinen Kopf bremste die Bewegung. Schmerzen durchfluteten seinen Körper. Dann tauchte er mitten hinein in ein Meer der Besinnungslosigkeit.
*

Erschöpft legte er den Schreibstift zur Seite. Ein zufriedener Blick huschte über die noch feuchten Zeilen. Er pustete und erst als die Tinte getrocknet war, schloss er das Buch. Andächtig legte er es auf den Altar. Es war ein feierlicher Moment und er genoss jede einzelne Sekunde.
Seit 13 Jahren konnte er zum ersten Mal wieder frei atmen. Es war eine Erlösung. Wie ein zentnerschwerer Stein lastete die Schuld der anderen auf seinem Gewissen. Heute hatte er diesen Stein eine kleine Strecke anheben können.
Das bleiche, bläuliche Gesicht tauchte wieder vor seinen Augen auf. Das kleine Gesicht aus der Dunkelheit. Doch diesmal waren die Züge nicht verzerrt, die Augen nicht schreckensstarr auf ihn gerichtet. Diesmal nicht. Im Gegenteil. Ein weiches Lächeln lag auf den Lippen.
Er ging hinüber zum Tisch. Dort lag seine Beute. Der Beweis seiner Aufrichtigkeit. Er hatte sich zurückgeholt, was ihm damals gestohlen worden war. Das Taschentuch war rot.
Er blickte auf seine Armbanduhr. Eine Funkuhr. Sie war teuer gewesen. Lütjens hatte sie ihm damals geschenkt, weil er stets hilfsbereit gewesen war und sich um alles gekümmert hatte.
Auch heute war er hilfsbereit gewesen, und heute hatte er sich selbst eine Belohnung verdient: Ruhe.
Er steckte das blutige Taschentuch in seine Jacke und zog sich die Stiefel an. Er war müde, doch er hatte noch etwas zu erledigen, das keinen Aufschub duldete.
Die Tür knarrte, als er hinaus in den Flur ging.
Noch immer herrschte hier ein strenger Brandgeruch. Die verkohlten Balken auf der Südseite der alten Villa hatten den Geruch der Flammen in ihren Poren eingeschlossen und ließen ihn nur zögernd wieder frei. Er hasste diesen Gestank.
Als er durch die Hintertüre hinaus ins Freie trat, sog er die kühle und salzige Seeluft tief in seine Lungen. Er ging hinüber zum Schuppen. Es war dunkel, denn Strom gab es hier schon lange nicht mehr. Er öffnete die kleine Tür, doch plötzlich hielt er inne. Die vorwurfsvollen Gesichter kehrten mit lauten Stimmen zurück. Sein Kopf schien platzen zu wollen. Wie ein Sturmgewitter zogen sie über ihn her. Die Schreie hallten in seinen Ohren. Seine Hände zitterten.
Warum nur? Er hatte doch getan, was sie von ihm gefordert hatten. Warum ließen sie ihn nicht in Ruhe?
Er sank auf die Knie. Die Schreie wurden greller. Dann kam das andere, das verzerrte, das unnachgiebige und grausame Gesicht aus der Finsternis hervor. Schützend schlug er die Hände vor die Augen. Doch es nutzte nichts. Er konnte dieses Bild nicht vertreiben.
"Vater ... nein, nicht ... es ist ... es ist nur der Anfang", stammelte er, doch die Fratze wollte nicht wieder verschwinden. Entkräftet sank er zu Boden. Seine Hände krallten sich in den feinen Sand.

Die Schreie der Möwen hallten durch das Morgengrauen. Dicke Wolken hingen über dem Himmel und ein stürmischer Wind blies von Westen her. Als er erwachte, wunderte er sich darüber, dass er im Freien lag. Zusammengekrümmt wie ein Kind im Mutterleib. Er fror vor Kälte. Es war Mai, und noch immer wurde es nachts bitterkalt.
Mühsam erhob er sich. Er massierte sich die Starre aus den Gliedern. Sein Kopf schmerzte. Langsam kehrten die Erinnerungen an die letzte Nacht wieder. Doch nur noch Fragmente waren es, vernebelte Bruchstücke aus einer anderen Welt. Als er den Schuppen betrat, blickte er sich suchend um. Dann fiel ihm wieder ein, warum er hierher gekommen war. Zielstrebig ging er auf den Schrank zu und öffnete ihn. Hier hinein hatte er die kleine Schachtel gelegt. Es war ein Geschenkkarton, bunt gemustert und mit einer roten Schleife auf dem Deckel. Mareike würde das Geschenk gefallen. Damals, zu ihrem siebten Geburtstag, hatte er ihr schon einmal ein kostbares Geschenk gemacht. Mit einem kleinen Ring hatte er sie überrascht. Sie hatte sich sehr darüber gefreut, war aufgesprungen, auf ihn zugestürmt und hatte ihn umarmt und auf die Wange geküsst. Auch heute hatte er wieder ein Geschenk für sie. Ein viel schöneres sogar.
Er holte das blutgetränkte Taschentuch hervor und stopfte es samt Inhalt in die Schachtel. Dann verließ er den Schuppen und ging zurück in das verfallene Haus. Er musste etwas essen. Schließlich lag noch eine schwere Aufgabe vor ihm. Er durfte nicht versagen.
"Träne um Träne, Blut für Blut", sagte er zu sich. Eine alte und harte Brotkante war alles was er fand. Er setzte sich an den wackeligen Tisch und biss hungrig hinein.