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Feuer am Horizont

In den Ostertagen des Jahres 1525 geht die Burg auf dem Schlossberg in Oberlauda in Flammen auf.

Die fürstbischöfliche Oberamtsstadt Luden hatte sich dem Bauernheer ergeben, das seit Tagen vor den Wiesen der Stadt lagerte und mit der Erstürmung und Brandschatzung der Stadt gedroht hatte. Der Amtmann von Riedern hatte sich mit einigen Getreuen auf seine Burg unweit der Stadt geflüchtet und hoffte, dass das Heer der Bauern an ihm vorüberziehen und ihn ungeschoren lassen würde.   

Seit zwei Tagen standen auch des Nächtens die Stadttore offen. Kein Nachtwächter ging mehr durch die Straßen, keine Schildwache stand mehr vor den Toren. Der Amtshof war geplündert und überall lagerten Bauern und Knechte, die mit dem großen Bauernheer von Mergentheim nach Lauda gekommen waren. Die Wiesen vor der Stadt wimmelten nur so vor Menschen, doch auch in den Gassen und auf den Plätzen schliefen, aßen, soffen und feierten die Knechte des Tauberhaufens.
Die Obrigkeit war geflohen oder hatte sich mit den Aufständischen arrangiert, nur auf der Burg Luden, auf dem Schlossberg in Oberlauda, da harrte noch der Herr Amtmann mit wenigen Getreuen aus und wartete auf Hilfe. Doch heute, am frühen Morgen schon, waren Scharen der Bauern unter Waffen aufgebrochen. Die Burg zu nehmen, war ihr Ziel.
Nun, da es Abend wurde und dunkle Wolken von Osten heranzogen, war ein heller flackernder Schein dort zu sehen, wo die Burg stand.
Den ganzen Tag über waren das Geschrei und die Schüsse der Schlossbergschlacht nach Lauda herüber gedrungen, doch nun war Ruhe eingekehrt. Nur das Knistern der Feuer, das Schnarchen von manch vollgefressenem und vollgesoffenem Landsknecht drang noch durch die Stille des Abends. Märthe war draußen auf dem Feld gewesen und hatte nach dem Rechten geschaut. Trotz ihrer sechzig Jahre war sie noch gut zu Fuß. Ihre langen und derben Röcke schwangen im Takt ihrer Schritte, und das Kopftuch war eng geschnürt. Es wurde langsam kalt im Taubertal und die Märthe war froh, die Stadt wieder vor sich zu haben. Als sie über das kleine Brückchen vor dem Stadttor ging, hörte sie das Schluchzen einer Frau. Sie hielt inne und schaute sich um, da fiel ihr Blick auf das kleine Häufchen Elend, das sich vor dem Stadttor auf einem Stein niedergelassen hatte. Als sie näher kam, erkannte sie die Frau. Es war Katharina Franck, die Nachbarin, die im Häuschen gegenüber wohnte. Katharina saß da, das Gesicht zum Boden geneigt und fast schien es, als ob sie betete. Ab und zu entrann ein leises Schluchzen oder ein Seufzer ihrem Mund. Katharina war nicht viel jünger als Märthe und doch schien sie, so zusammengekauert wie sie dort auf dem kalten Stein saß, um ein Vielfaches älter.
<³i>"Katharina, wos hoscht´n du, worum heulscht´n so gottserbärmlich", fragte die Märthe leise, doch Katharina schien sie nicht zu bemerken. Märthe trat näher und wiederholte ihre Frage. Da schaute Katharina auf und blickte Märthe ins Gesicht. Im Dämmerlicht sah Märthe die nassen Augen und auch die Tränen, die Katharina über die ausgezehrten Wangen liefen.
"Do frochscht noch, guck do nuff´. Siehscht net des Feier, des zum Hiemmel schreit. Ä Sünd is, d´bei wor rer immer gut zu uns und jetzt verbrenne sin. Es is ä Sünd und der Martin is a d´bei. Ich hob´s m g´socht. Der Herrgott wird uns alli strofe. Es is net recht, wos mer denne do odut. Der Riedern konn nix dezu. Wir sinn nu mol die arme Baure und müsse schaffe´.  D´Herrgott hots doch so g´wöllt oder Märthe?", schluchzte Katharina angesichts des hellen Scheins, der sich im Westen abzeichnete. Märthe wandte sich um und sah das Feuer, das nun wohl schon den Bergfried erfaßt haben mußte. Hoch schlug es in den Himmel und es schien sogar, als ob es nach den Wolken greife.
"Wos machscht der denn für Sorche. Die höwwes net annerscht g´wöllt. Wos höwwe die uns net scho alles weckg´holt. Mir höwwe scho lang g´nuch nix zu fresse g´hobt, do hot der fette Alletzheimer immer noch so dicke Broate g´fresse, daß mer alle hätte satt werre könne dovo. Hoscht net der Pfarrer g´hört. Koner derf der annere des nemme, wos mer zum Lewe braucht. Howwe sich die gschniegelte Kerle do dro g´halte? Ne g´holt höwwe sie, g´holt und g´holt und gor nimmer g´frocht", beschwichtigte Märthe und redete auf die Unglückliche ein.
"Awwer der Riedern hott immer zu uns arme Leit´g´halte. Wasch no, domols, als uns der Herrgott die Ernt´verhachelt hott und mer fast nix zu beiße g´hobt höwwe, do ist der Riedern kumme und hat a gut´s Wort für uns beim Bischof eiglegt. Do hömmer fast nix abgewwe brauche. So a guter Kerl wor unser Amtmann, und jetzt, jetzt musser elendlich sterbe und mein Martin, der Buh´der rennt do einfach mit. Hott alles vergesse, was uns domols an Zins erlosse worre is. Des is net recht. Des ist a Sünd. Scho in der Bibel steht, mer derf koan umbringe. Äh Sünd. Mei Martin, mittedrin im Haufe. Guck dich doch üm, do liege si, höwwe nix bessers g´wißt, als aus´m Keller der Wein leer zu saufe und der Schinke uffzufresse. Wenn des unsere neue Herre sin, dann solle sie bleiwwe wo sie herkumme", erwiderte Katharina erbost.
"Jetzt denk awwer mol noch, entgegnete Märthe, nun ebenfalls hitzig, " Domols, als mei Konrad g´storbe is und der Contz der Hof g´numme hot, do is de Alletzheimer und der Zott kumme und höwwe mer´s Beileid oa g´wünscht. Aber am nächschte Doach wore sie widder do und höwwe unsere Liesl g´holt. Die Liese wor die bescht´ Kuh, die mer jemols g´hobt howwe. Do hot a koaner noch der Sünd´ g´frocht. Des is genauso net recht, wie oan der Spieß in die Därm zu ramme. Soll bloß koaner kumme und soche, die wäre die bessere Leit´. Der Alletzheimer hot immer geguckt, das er alles kriecht wos er nur höwwe konn´ und der Riedern - ja gut - a feiner Mensch isser scho, awwer worum hott´rs a soweit kumme losse. Hät er vorgeschtern die Stadttor uffg´macht, dann mußt er heit nit um sei Lewe bange. Er höt´s doch so g´wöllt"
"So g´wöllt oder net, a Sünd isses, des derf me net. Wir sin Baure un ko Kriegsknecht´. Wo soll des alles no ende. Wirscht sehe, mir müsse am End´widder alles bezohle. So wie´s scho immer wor."
Märthe wurde langsam ungeduldig. Es war mittlerweile dunkel geworden und die ersten Fackeln erleuchteten die Stadt. Ein Wind kam auf und wehte scharf über die östlichen Hügel. Märthe war müde und sehnte sich nach ihrem Platz am Ofen.
"Wos is, willscht net mit mer hoom gehe. Es wird kalt und der Wind pfeift. Kumm. Do sitze nutzt a net. Kumm gemmer", sagte Märthe zu ihrer Nachbarin und schickte sich an, ihren Weg fortzusetzen. Doch Katharina blieb sitzen.
"Näh, Näh, geh du nur, ich bleib do sitze und beht. Vielleicht guckt der Herrgott grad uff mi nunner und hilft uns aus der Not", entgegnete Katharina und blieb regungslos auf dem Stein sitzen. Märthe aber machte sich auf ihren Weg. Noch bevor sie das Tor erreicht hatte, kamen Männer unter Waffen von Oberlauda heran und gingen über die Brücke. Märthe blieb abermals stehen und blickte der Schar misstrauisch entgegen. Ihre alten Augen taten sich schwer. Obzwar die Männer Fackeln trugen, erkannte sie den Konrad Brunner, den Knecht vom Birkholzhof, erst, als er an ihr vorübergehen wollte. Auch der Johann Kunz, der Wagner aus dem Kirchgässlein, war unter der Meute. Märthe trat ihnen in den Weg und fragte, was denn am Schlossberg geschehen sei.
"Der Kaschte is in unser Hand, der Riedern und die Seine sin im Turm verbrannt. Mir höwwe sie n´eitriewe und der Fried ogezündet. S´wor a riese Feier, dann is er eig´stürzt, der Turm. Jetzt schmore sie alli in der Höll. Aus´m Turm gab´s ko entrinne, „ verkündete der Brunners Konrad stolz, dann zogen sie jubelnd an Märthe vorbei und verschwanden in der Stadt. Katharina saß nach wie vor unbeeindruckt auf ihrem Stein. Auch sie hatte der Erzählung des Knechts gelauscht, doch die Frage nach ihrem Sohn, dem Martin, ging im Jubelgeschrei der Menge unter.
Kurz darauf, nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, ging Märthe nochmals zu ihr hinüber.
"Siescht, s´alles vorbei, brauchscht nimmer bethe. Kumm jetzt, mir gehe hoam. Do gibst nix mehr zu sehe", sagte sie eindringlich, in der Hoffnung, dass sie die Katharina doch noch zum Mitkommen bewegen könne. Doch Katharina blieb sitzen:"Jetzt erscht´ recht nit. Jetzt muß i für all die arme Seele bete. Geh du nur. I was scho wos ieh mach."
Märthe ging. Noch lange dachte sie über Katharina nach. Sie tat ihr leid. Doch als am nächsten Tag der Riedern und seine Getreuen in die Stadt geführt wurden und nicht mal ihre Haare angesengt waren, schaute auch die Märthe gespannt auf dem Marktplatz zu. Lauthals forderten die aufgebrachten Bauern ihr Blut und bald schien es, als ob es ihnen an das Leben gehen sollte.
Als ihnen dann aber durch die Fürsprache von Cuntz Baier und dem Pfarrer Lienhardt Beys abermals das Leben gerettet wurde und jeder nur noch vom Wunder von Luden sprach, rann eine Träne an ihrer Wange herab. Die Gefangenen aber wurden hinweg geführt und ein betretenes Schweigen lag über der Stadt.
Als Märthe hernach nach Hause ging, begegnete ihr die Katharina vor der Kirche.
"Siehscht, der Herrgott hot mich g´hört, als ieh die Nacht üwwer vorm Stadttor gebetet hob", sagte Katharina voller Überzeugung, bevor sie durch das große Portal im Gotteshaus verschwand.
Märthe aber dachte noch lange über diesen Tag nach und als sie einige Jahre darauf starb, waren ihre letzten Worte: "Nimm mie uf in deinem heiligen Hiemmel und hör mie, so wie a domols vorm Stadttor die Francks Katharina g´hört hoscht."

Ulrich K. Hefner